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Sneakerjagers Interview: Charlotte Lee über ihre Arbeit als Designerin und den New Balance XC-72

22. Oktober 2021 14:02
Sneakerjagers Interview: Charlotte Lee über ihre Arbeit als Designerin und den New Balance XC-72

Wie entsteht eigentlich die Idee zu einem neuen Sneaker Design? Wer ist an dem Prozess beteiligt und was passiert im Hintergrund? Wie sieht die Arbeit bei einer Brand wie New Balance aus und tragen Designer ihre Schuhe eigentlich auch selber? Charlotte Lee von New Balance verrät es euch:

In einem ausführlichen Interview mit Sneakerjagers nimmt uns die Schuhdesignerin, die seit sieben Jahren bei New Balance arbeitet, mit auf eine Reise durch den Designprozess eines Sneakers, gibt uns Einblicke in die Arbeit bei New Balance und hat auch einige motivierende Tipps für angehende Sneaker-Designer.

Dabei hat uns Charlotte auch in die Geschichte hinter ihrem brandneuen Design, den New Balance XC-72 blicken lassen und erzählt, wie ein Sneaker Design letztendlich zusammenkommt.

Freut euch auf also auf spannende Eindrücke aus dem Leben einer erfolgreichen Footwear Designerin, liebe Community und lasst euch, genau wie wir, von Charlotte inspirieren.


Der Prozess der Entwicklung eines neuen Schuhs


New Balance XC-72 Ivory

Wie lange dauert der Entwurf eines neuen Sneakers? Was sind die einzelnen Schritte?

Das ist eine schwierige Frage, weil es wirklich von der Komplexität des Projekts abhängen kann.

Manchmal gibt es etwas, über das man nachgedacht und das man skizziert hat, das dann aber eine Zeit lang niemandem gezeigt wird. Oder es gibt viele Musterrunden, weil niemand deinen Entwurf so interpretiert, wie du ihn im Kopf hast, bis zum 3. oder 4. Sample. Die Zeit variiert also.

Aber ich würde sagen, dass es im Durchschnitt etwa sechs Monate dauert, von der ersten Skizze bis zum Muster in der Hand.

Was ist dein Lieblingsteil im Designprozess? Was gefällt dir am besten?

Ich habe eigentlich zwei Lieblingsteile.

New Balance ist eine Marke, bei der alles einen Sinn haben muss, mit einer Hintergrundgeschichte oder einer gewissen Daseinsberechtigung, und nichts wird nur geschaffen, weil es gut aussieht. Mein erster Lieblingsteil ist also, wenn eine Geschichte zusammenkommt. Ich liebe es, Inspirationen aus dem Archiv zu verwenden oder Teile hinzuzufügen, die wirklich progressiv sind, oder manchmal auch nur, weil ich etwas persönlich liebe.

Es ist ein tolles Gefühl, wenn endlich alles zusammenkommt, aber noch besser ist es, wenn man mit dem Sampling-Prozess beginnt. Denn während des Prozesses gibt es auch eine Menge Selbstzweifel, bei denen man sich Fragen stellt wie: Ist das gut genug, bin ich damit zufrieden, repräsentiert es das, was ich will und und und. Wenn man dann dieses Gefühl bekommt von: Ja! Das läuft wirklich gut! Das sind ehrlich gesagt die besten Momente für mich.

Wenn du ein neues Modell entworfen hast, bist du dann auch an allen zukünftigen Colorways beteiligt, die es geben wird?

In der Welt der Sneaker ist es ziemlich selten, dass Designer auch die Farbgestaltung übernehmen, aber bei New Balance entwerfen wir das Konzept und die Geschichte hinter dem Sneaker, und die Farbgebung ist natürlich ein Teil davon.

Wenn der Sneaker von etwas aus dem Archiv inspiriert wurde, versuche ich, dessen Farben irgendwie einzubauen. New Balance ist natürlich bekannt für seine grauen Farben, aber ich versuche auch gerne, etwas zu finden, das ein bisschen anders ist.

Nach etwa einem Jahr wird der Entwurf dann an jemand anderen weitergegeben, was ein bisschen so ist, als würde man sein Baby aus der Hand geben! Aber das ist eine gute Sache, denn andere Leute haben andere Perspektiven und Ideen, an die man selber vielleicht nie gedacht hat.

Ich glaube ehrlich gesagt, dass einige der besten Farbvarianten des 327 und des XC-72 solche sein werden, die ich nicht angefasst habe, weil jemand sie mit frischen Augen betrachtet und Potenzial im Schuh sieht, das ich persönlich vielleicht gar nicht gesehen habe.

Wie kommst du auf deine Ideen für die Designs? Hattest du vielleicht auch schon einmal eine Designidee, die dir in einem wirklich seltsamen Moment kam?

Ich glaube nicht, dass mir jemals ein Entwurf zu einem nicht ungewöhnlichen Zeitpunkt eingefallen ist! *lacht

Ich habe nie bewusste Momente, in denen mir ein Licht aufgeht, es ist eher so, das mir Dinge ganz langsam einfallen. Ich zeichne etwas und wähle Teile aus, die mir gefallen, oder ich sehe ein bestimmtes Detail, das mir gefällt und das ich beibehalten möchte, sodass es eher ein langsamer Aufbau von Details ist, die alle für die Ästhetik zusammenkommen.

Bei einer Skizze oder einem Muster, mit dem man wirklich zufrieden ist, macht es dann Klick, aber ich glaube nicht, dass es einen bestimmten Moment gibt.

Als Designer schaltet man im Grunde nie wirklich ab, man denkt ständig darüber nach. Es kann sein, dass ich spazieren gehe und mir dann etwas einfällt, zum Beispiel. "Soll das N-Logo so aussehen?". So etwas muss man sich merken, denn manchmal hat man so schon Monate vor einem Briefing ein Konzept parat.

Wie oft trägst du deine eigenen Entwürfe?

Als ich 2014 bei NB anfing, sah alles ziemlich maskulin aus. Ich wollte etwas kreieren, von dem ich weiß, dass ich es für immer tragen möchte. Was meine eigene Sneaker Kollektion betrifft, so besteht sie tatsächlich zu 75% aus meinen eigenen Entwürfen. Das hört sich vielleicht selbstverliebt an, aber ich kreiere meine Designs ja, weil ich sie selber gerne tragen würden - also trage ich sie auch. Die anderen Teile meiner Sneaker Sammlung sind dann Entwürfe von Kollegen, die ich toll fand.

Wie überwindet man als Designer kreative Blockaden?

Das ist hart, wirklich hart. Und ich glaube auch, dass nicht genug Leute darüber sprechen. Es ist oft nicht einmal eine 'kreative Blockade', es sind wirklich Selbstzweifel: Bin ich wirklich die richtige Person, um an diesem Design zu arbeiten? Wenn ich aber jemals das Gefühl habe, dass ich nicht weiß, was ich tue, setze ich mich hin und bespreche alles mit meinem Manager Sam Pearce, der ein großartiger Designer ist und mich wirklich inspiriert.

Ich versuche auch, mit anderen Menschen zu sprechen oder mir verschiedene Bereiche des Designs, der Kunst und der Kreativität anzuschauen. Es ist wichtig, Dinge nicht zu erzwingen, denn es hat wenig Sinn, nur dazusitzen und frustriert zu sein. New Balance ist da auch sehr flexibel. Wenn man also eine schwierige Phase hat und ein paar Tage weggehen muss, um an etwas anderem zu arbeiten, um dann mit einem neuen Blickwinkel zurückzukommen, kann man das tun, und das ist wirklich hilfreich.

Was würdest du jungen Menschen sagen, die denselben Traum haben wie du?

Das erste, was ich immer sage, ist: Praktikum, Praktikum, Praktikum! Auch wenn es nur für einen Tag ist, eine Stunde, mach alles, was du tun kannst und sammle so viel Erfahrung wie nur möglich!

Ich hatte das Glück, dass ich durch ein Praktikum bei Clarks in die Branche kam. Damals interessierte ich mich nicht einmal für Schuhe, ich wollte einfach nur in ein kreatives Studio, aber das hat mich letztendlich auf diesen Weg geführt. Als ich dort anfing, war ich super erstaunt. Die Leute dort stellten jeden Tag Dinge her und wurden dafür bezahlt!

Praktika sind so wichtig. Selbst wenn ihr dann merkt ihr hasst die Arbeit, dann wisst ihr zumindest, dass es nichts für euch ist. Es geht vor allem darum, die Branche kennenzulernen und zu verstehen. Instagram und andere soziale Medien haben den Bereich des Designs zu einer Art Sensation gemacht, aber es geht eben in der Realität nicht nur um das Skizzieren auf Tischen in großen, glamourösen Designstudios. Es gibt noch viele andere Aspekte und Arbeitsschritte, die viel weniger interessant sind.

Es ist wichtig, herauszufinden, wie der Beruf als Designer wirklich ist, und damit sicherzustellen, dass es das Richtige für euch ist.

Gibt es Tools, Kurse oder andere Dinge, die du Leuten empfehlen würdest, die gerade erst mit dem Design anfangen?

Heutzutage gibt es eine Menge Möglichkeiten für Neueinsteiger, viel mehr als zu meiner Anfangszeit. Und man muss dabei nicht einmal der beste Zeichner sein! Es ist zwar hilfreich, weil man so seine Ideen leichter vermitteln kann, aber es ist eigentlich nicht mehr notwendig mit den Möglichkeiten die es heute gibt.

Wir arbeiten auch täglich mit Illustrator, aber das lernt man an der Uni oder im Laufe des Studiums. Es gibt noch andere Dinge wie Gravity Sketch, ein kostenloses Programm, mit dem man Schuhe in 3D entwerfen kann, und andere digitale Tools, die man entweder kostenlos oder als Testversion bekommen kann und die einem helfen, sein Portfolio massiv zu verbessern.

Was die Kurse angeht, so besuche ich auch jetzt noch Kurse, die nichts mit der Branche zu tun haben. Es ist wichtig, die Kreativität im Fluss zu halten, und aus diesem Grund mache ich immer mal wieder Kunst-, Handwerks- und Zeichenkurse. Ich denke, wenn sich jemand bereits mit Design beschäftigt, dann macht er wahrscheinlich sowieso eine Menge dieser Dinge, und ich würde einfach sagen: mach weiter so!


Arbeiten bei New Balance


New Balance XC-72 Ivory

Wir haben in den letzten Jahren eine Menge toller neuer Styles und Kollaborationen von NB gesehen. Wie siehst du die Entwicklung von New Balance in der Sneakerszene?

Es ist definitiv eine gute Zeit, um bei der Marke zu sein. Ich habe gerade mein 7-jähriges Bestehen gefeiert und habe daher gesehen, wie die Brand sich verändert hat. Das ist sehr aufregend!

Als ich vor sieben Jahren anfing, gab es nicht viele neue, futuristische Ideen, und es fehlte das Selbstvertrauen, diese Ideen zu verwirklichen. Dinge, die skizziert wurden, wurden nicht unbedingt gesehen, aber jetzt ist es aufregend zu wissen, dass wir etwas schaffen, Risiken eingehen und es erfolgreich auf den Markt bringen können.

NB hat eine lange Geschichte als eine der ältesten Marken. Hast du das Gefühl, dass die Marke in den letzten Jahren ein neues Image bekommen haben?

Ich habe schon das Gefühl, dass die Marke ein neues Image bekommen hat, aber auch, dass sie dem, was sie ist, immer treu geblieben ist. Ich liebe die "Dad-Shoe"-Atmosphäre, die hinter der Marke steht. Sie hat diese humorvolle Attitude, die ich immer noch gerne sehe.

Wir haben bei New Balance diese seltsame Fähigkeit, etwas für den Laufsteg zu kreieren, genauso wie etwas für jemanden, der in Amerika in seinem Vorgarten am Grill steht, und dann auch für jeden irgendwo dazwischen.

Wenn wir Designs mit dem Archiv verknüpfen, treiben wir Dinge voran, aber wir versuchen auch, dass sie immer noch sehr New Balance sind. Wir denken immer: Was macht dieses Design zu einem New Balance Schuh?

Mit wem würdest du am liebsten einmal für ein Design zusammenarbeiten? Was wäre deine Traum-Kollabo?

Ich finde es grundsätzlich toll, wenn New Balance mit ungewöhnlichen Partnern wie Künstlern oder aufstrebenden Designern zusammenarbeitet - mit Leuten, von denen ich noch nie gehört habe. Denn es geht um Partnerschaft und darum, etwas Neues für uns auf den Tisch zu bringen.

Ich würde also sagen, meine Traum-Kollaboration wäre nicht mit einem bestimmten Partner oder Designer, sondern mit jedem, der etwas Neues in die Marke einbringen kann, denn das ist der interessanteste Teil.


Der New Balance 327


New Balance 327

Der Trend um den NB327 ist im Moment verrückt. Wie fühlt es sich an, einen von dir entworfenen Sneaker auf den Straßen und bei Social Media zu sehen?

Amazing! Es gibt kein besseres Wort dafür. Der 327 war eine Art persönliches Projekt für mich. Es war der erste Schuh, den ich kreiert habe und bei dem ich dachte: Ja, den werde ich immer tragen. Ich trage auch jetzt welche! Und zu sehen, dass die Leute ihr eigenes Geld für etwas bezahlen, das meinem Kopf entsprungen ist, das ich gemacht habe, ist schon eine seltsame Sache.

Ich erinnere mich noch, dass die erste Person mit einem Paar meiner Schuhe im Supermarkt gesehen habe. Ich hatte dann irgendwie das Gefühl, mich ihm vorstellen zu müssen und mit ihm zu reden! *lacht

Ich glaube, ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, aber immer mal wieder kommt mir der Gedanke, dass eine Person etwas aus meinem Kopf trägt, das ich gemacht habe. - Amazing!

Es macht auch wirklich Spaß zu sehen, wie meine Sneaker Designs von allen möglichen Leuten getragen werden. Ich habe die Schuhe ja sozusagen für mich entworfen und wie es mir gefällt, aber dann sehe ich Leute, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie das Design tragen. Und sie stylen es auf so interessante Weise! Das ist super, denn dann kann ich diese Information mit in mein nächstes Projekt nehmen und sehe, dass nicht nur junge Frauen an dem Design interessiert sind, sondern auch viele andere Menschen.


Der New Balance XC-72


New Balance XC-72 Castlerock
New Balance XC-72 Ivory
New Balance XC-72 Ivory
Sneakerjagers

Welche Elemente älterer Modelle wurden in das Design des XC-72 übernommen und warum?

Als wir über den 327 sprachen und auch darüber, was wir danach machen wollten, wussten wir, dass wir etwas aus dem Archiv der 70er Jahre nehmen wollten. Das war eine erstaunliche Zeit für New Balance, mit der Einführung des N-Logos und einigen wirklich aufstrebenden Designs.

Es war aber nicht wirklich eine Ära, die wir für eine Neuinterpretation in Betracht gezogen hatten, also ging ich nach dem 327 Design nochmal zurück ins Archiv und fragte mich dort: Was habe ich beim letzten Mal verpasst? Und ich fand eine ganze Menge Dinge, die ich übersehen hatte.

Eine alte Kampagne mit dem Titel 'Three of the Best' zeigte drei Sneaker, die ziemlich gleich aussahen, aber unterschiedliche Sohlen für verschiedene Läufer-Typen aufwiesen.

NB 375 Sole
NB XC15 Sole
NB 620 Sole

Ich fand das sehr interessant, denn insbesondere die Sohlenlauffläche eines der Modelle sah aus, als wäre sie aus der Zukunft, aber eben aus den 70er Jahren. Ich fragte mich, ob schon einmal jemand alle drei Profilarten gleichzeitig verwendet hat. Dann dachte ich: Ist das eine gute Idee? Also habe ich mit der Idee gespielt, einige Entwürfe gemacht, sie anderen Leuten gezeigt, und wir fanden, dass es gut funktioniert.

Woher kommt der Name 'XC-72'?

Der XC-Teil stammt vom 'XC-15', einem der Sneaker aus der 'Three of the Best'-Kampagne, der auch die einzigartige Sohle dieses neuen Modells inspirierte. Die 7 stammt vom '375' und die 2 vom '620', den beiden anderen Sneakern der Kampagne.

Gab es etwas aus den ersten Konzepten, von dem du schade findest, dass es nicht den Weg in den endgültigen Entwurf geschafft hat?

Nein, ich glaube nicht, dass es das gab. Es war von Anfang an ziemlich festgelegt wohin wir mit der retro-futuristischen Idee wollten. Eine Sache war aber, dass ich mich damals fragte, ob wir einen weiteren Schuh mit einem großen N-Logo machen sollten. Ich habe verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, das N zu verwenden, aber wir sind immer wieder auf das große N zurückgekommen, weil es am besten aussah, also sind wir dabei geblieben. Und ich bin froh darüber! Ich finde, dass die leichte Schräge den Retro-Look noch verstärkt.


Und das finden wir auch! Ein großes Dankeschön an Charlotte Lee und das New Balance Team für die spannenden Einblicke. Wir freuen uns schon auf ihr nächstes Sneaker-Design!

Zwei neue Colorways des XC-72, der XC72CA1 und der XC72CB1, werden am Samstag, den 23. Oktober 2021 um 10:00 Uhr veröffentlicht und dann sowohl hier auf der New Balance Webseite, als auch in Stores in London (Oxford Street), Paris (Forum des Halles), Berlin und Amsterdam erhältlich sein.


Dieses Interview wurde auf deutsch übersetzt. Zur englischen Originalversion >>